PINK WALK
EXPERTEN TALK
mit Ines Pfeffer
Ines Pfeffer forscht und lehrt an der Schnittstelle von Sportwissenschaft, Sportpsychologie und Gesundheitswissenschaft. Insbesondere die Erforschung motivationaler und volitionaler Faktoren der regelmäßigen Sportteilnahme sowie der Determinanten erfolgreicher Verhaltensänderung gehören zu ihren Forschungsinteressen. Aktuell hinterfragt sie vor dem Hintergrund aktueller dualer Prozesstheorien die Rolle automatischer und reflektiver Prozesse bei der Aufnahme und Aufrechterhaltung regelmäßiger körperlicher Aktivität. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit Interventionsmethoden zur Förderung gesunder Gewohnheiten im Alltag und erforscht Effekte regelmäßiger körperlicher Aktivität auf psychische Gesundheitsparameter.

Ines Pfeffer - Professorin für Medizinpädagogik (Gesundheitswissenschaften) an der MSH Medical School Hamburg
Teil 2: Wie Bewegung zur Gewohnheit wird – und warum das oft schwerer ist als gedacht
Ein Gespräch über Routinen, innere Blockaden – und wie Bewegung auch in einem vollen Alltag gelingen kann.
Mehr Bewegung – viele nehmen es sich vor, doch die Umsetzung scheitert oft am Alltag, der Müdigkeit oder dem inneren Widerstand. Warum fällt es uns so schwer, dranzubleiben? Und wie schaffen wir es, Bewegung wirklich fest in unser Leben zu integrieren?
Im zweiten Teil unseres Interviews erklärt Dr. Ines Pfeffer, wie gesunde Routinen entstehen, warum kleine Schritte nachhaltiger sind als große Vorsätze – und welche Rolle automatische Entscheidungen dabei spielen. Sie zeigt praxisnah, wie Gewohnheiten wirken, was uns oft im Weg steht und was helfen kann, wenn Motivation und Energie mal fehlen.
Viele Menschen nehmen sich vor, sich mehr zu bewegen – doch die Umsetzung gelingt häufig nur kurzfristig, nach ein paar Tagen oder Wochen hören sie wieder auf. Warum ist es so schwer, langfristig am Ball zu bleiben?
Ines Pfeffer: „Aktuellen Zahlen aus Prävalenzstudien zeigen, dass nur ein geringer Prozentsatz der deutschen Bevölkerung die Empfehlungen zu regelmäßiger körperlicher Aktivität von täglich 30 Minuten tatsächlich erreicht. Das zeigt, dass es sehr vielen Menschen schwerfällt, mit körperlicher Aktivität zu beginnen und langfristig dranzubleiben.
Das liegt häufig nicht an fehlendem Wissen oder an fehlender Motivation, sondern eher an der Fähigkeit, das Verhalten nachhaltig, trotz aller Verpflichtungen, in den Alltag zu integrieren. Unser moderner Alltag ist durchgetaktet und lässt nur wenig Freiraum für körperliche Aktivität und Selbstfürsorge. Abends sind wir erschöpft und schaffen es nicht, uns noch zu Sport oder körperlicher Aktivität aufzuraffen. Vor allem dann, wenn wir körperliche Aktivität nicht so gerne mögen und vielleicht schlechte Erfahrungen damit gemacht haben, gelingt es uns nur schwer, unser Verhalten zu ändern.
Viele Menschen werden daher aus extrinsischen Gründen körperlich aktiv: Etwa weil der Arzt sagt, dass sie sich mehr bewegen sollen, sie sich von Erkrankungen bedroht fühlen und erste Beschwerden haben oder weil sie Körpergewicht verlieren wollen. Das sind alles Gründe, die nicht mit der Aktivität an sich verknüpft sind. Wir nutzen Bewegung als Mittel, um etwas anderes zu erreichen und üben sie nicht um ihrer selbst willen aus. Wir sollten aber eine Aktivität finden, die wir interessant finden und die uns Freude bereitet, die wir um ihrer selbst willen ausführen. Aktivitäten, die uns ein gutes Gefühl geben und bei denen wir uns wohl fühlen. Dann müssen wir uns nicht zum Sporttreiben überwinden, sondern dann ist Bewegung selbst eine Belohnung. Das langfristige Dranbleiben gelingt dann deutlich besser, auch in Phasen, in denen wir z.B. wenig Zeit und Ressourcen zur Verfügung haben.
Und: es muss nicht unbedingt Sport sein. Bewegung ist sehr vielfältig und es sollte wirklich für jeden etwas dabei sein. Bewegung kann mit und ohne Musik, im Freien oder in der Halle, allein oder in der Gruppe, im und auf dem Wasser oder an Land praktiziert werden. Es ist daher empfehlenswert, verschiedenste Bewegungsformen auszuprobieren und nicht zu schnell aufzugeben, wenn man das Richtige für sich finden will.“
Was kann helfen, Bewegung wirklich zur Gewohnheit zu machen – auch dann, wenn der Alltag stressig ist?
Um eine gesunde Gewohnheit aufzubauen, sollte ich mir zunächst eine möglichst täglich wiederkehrende Alltagssituation aussuchen. Das könnte die Situation nach dem Mittagessen, direkt nach dem Aufstehen, vor dem Frühstück, wenn die Kinder mit den Hausaufgaben fertig sind oder direkt nach der Arbeit sein. Diese wiederkehrende Situation verknüpfe ich mit einer körperlichen Aktivität. Hierfür sollte ich eine Aktivität wählen, die ich gerne mache, da dann die Belohnung in der Aktivität selbst liegt. Ich könnte mir z.B. vornehmen, jeden Tag nach dem Mittagessen mit einer Kollegin einen zügigen Spaziergang von 20 Minuten durch den Park zu machen. Oder jeden Morgen direkt nach dem Aufstehen 10 Minuten Gymnastik, direkt nach der Arbeit mit dem Fahrrad, statt mit dem Auto zur nächsten Verabredung zu fahren oder samstags nach den Erledigungen eine Fahrradtour mit meiner Familie zu unternehmen.
Wenn ich dieses Verhalten in der immer gleichen Situation wiederhole, wird es nach einiger Zeit zur Gewohnheit. Das bedeutet, dass das Verhalten mehr oder weniger automatisch in Gang gebracht wird, sobald diese Situation eintritt. Es fällt mir zunehmend leichter körperlich aktiv zu sein und es gehört irgendwann einfach zu meinem Leben dazu. Der große Vorteil von Gewohnheiten ist, dass sie sehr stabil und damit weniger störanfällig gegenüber verändernde Umstände sind. Allerdings ist es genau aus diesem Grund auch recht schwer, lange eingeübtes körperlich inaktives Verhalten abzubauen. Das Ziel sollte es sein, eher ungesunde Gewohnheiten durch gesunde zu ersetzen.“
In Ihrer Forschung geht es auch darum, wie wir Entscheidungen treffen – mal ganz bewusst, mal eher automatisch. Wie können wir dieses Wissen nutzen, um Bewegung leichter in unseren Alltag zu integrieren?
Ines Pfeffer: „Körperliche Aktivität ist ein Verhalten, das wir immer wieder neu initiieren müssen. Wenn wir mit dem Sporttreiben beginnen, dann gibt es zunächst viele Entscheidungen zu treffen: Was will ich eigentlich genau machen und wo, wann, wie und mit wem will ich körperlich aktiv werden? Diese Entscheidungen müssen bewusst getroffen werden und sind das Ergebnis von Abwägungsprozessen. Diese sind häufig anstrengend und aufwändig. Auf Dauer ist das wenig effizient.
Wenn dann eine Situation wiederholt mit dem gleichen Verhalten verknüpfen wird, dann laufen unsere Entscheidungen nach einer gewissen Zeit automatisch ab, also ohne Anstrengung und ohne umfangreiche kognitive Ressourcen dafür einsetzen zu müssen. Dieser Automatismus lenkt unser Verhalten, ohne dass wir es merken, und erleichtert es uns, auch bei widrigen Umständen (z.B. trotz hoher Stressbelastung) körperlich aktiv zu bleiben. Wenn wir aber vor jeder Bewegungseinheit durch Prozesse des Abwägens bewusste Entscheidungen treffen müssen (z.B. gehe ich jetzt zum Sport oder nehme ich die Einladung der Kollegin an?), dann ist das eher anstrengend und aufwändig für uns und die Wahrscheinlichkeit, dass wir doch nicht körperlich aktiv werden, wird größer.
Allerdings können sehr komplexe Verhaltensweisen, wie das körperliche Aktivitätsverhalten, vermutlich nicht vollständig automatisch ablaufen, da viele Teilaufgaben miteinander verknüpft werden müssen, die jede für sich recht aufwändig sein können: wir müssen die Sporttasche packen, zur Sportstätte fahren, uns umziehen, am Kurs teilnehmen, danach duschen etc.. Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass es uns umso besser gelingt ein Verhalten zur Gewohnheit zu machen, je einfacher (wenig komplex) dieses Verhalten ist. So ist es möglicherweise leichter, das tägliche Fahrradfahren zur Arbeit zur Gewohnheit zu machen, als den regelmäßigen Fitnessstudiobesuch, vor allem, wenn das Fitnessstudio weiter entfernt liegt. Wir sollten uns daher gerade zu Beginn wenig komplexe Aktivitäten aussuchen, die realistisch und ohne viel Aufwand in die alltäglichen Abläufe integrierbar sind.“
Was können kleine erste Schritte sein, wenn man zwar weiß, dass Bewegung wichtig ist – aber sich einfach nicht aufraffen kann?
Ines Pfeffer: „Ich sollte mich zunächst Fragen, welche Aktivitäten mir guttun und mir Freude machen, was ich vielleicht früher gerne gemacht habe oder was ich schon immer mal unbedingt ausprobieren wollte. Außerdem kann es hilfreich sein, sich Vorbilder im eigenen Umfeld zu suchen und sich den Aktivitäten von Freunden oder Bekannten anzuschließen. Soziale Unterstützung hilft nachweislich dabei, mit einer Aktivität zu Beginnen und auch dabei zu bleiben. Für viele ist es außerdem motivierend, draußen in der Natur aktiv zu sein.
Die WHO hat die Devise ausgegeben „Jede Bewegung zählt“. Es hilft, sich bewusst zu machen, dass es keine Höchstleitungen braucht, um positive Effekte auf die Gesundheit zu erreichen.
Gerade zu Beginn ist es besonders wichtig, sich nicht zu überfordern. Ich sollte mir also für den Anfang eher kleinere Ziele setzen. Häufig genügt es schon, mit kleinen Aktivitätseinheiten zu starten (auch schon 10 Minuten pro Gelegenheit sind ein guter Anfang), die, wenn sie gewohnheitsmäßig in den Alltag integriert sind, weiter ausgebaut werden können.
Führen Sie die Aktivitäten so aus, dass sie diese als etwas anstrengend empfinden und Sie etwas ins Schwitzen und außer Atem kommen. Hoch anstrengende Aktivitäten, die mit hohen Intensitäten ausgeübt werden, werden vor allem von Einsteigern und bisher wenig aktiven Menschen als unangenehm empfunden. Dieses unangenehme Gefühl wird dann zusammen mit dem körperlichen Aktivitätsverhalten abgespeichert, was dazu führen kann, dass jedes Mal, wenn wir auch nur an körperliche Aktivität und Bewegung denken, gleichzeitig dieses unangenehme Gefühl abgerufen wird und sich ein ungutes Gefühl in der Magengegend breit macht. Dieses ungute Gefühl hält uns möglicherweise dann davon ab, körperlich aktiv zu werden.
Wir sollten also darauf achten, dass wir uns gut fühlen während der Aktivität, damit sie mit etwas Positivem verknüpft ist, das wir immer wieder erleben und dem wir uns immer wieder annähern wollen.“
Neugierig auf mehr?
Bewegung soll uns gut tun – doch was, wenn sie zur Belastung wird?
Im dritten Teil unseres Gesprächs mit Dr. Pfeffer geht es um die Kehrseite des Bewegungsbooms: Leistungsdruck, überhöhte Ansprüche und Selbstoptimierung. Sie erklärt, wo Bewegung aus dem Gleichgewicht geraten kann, welche Rolle Social Media dabei spielt – und wie wir ein gesundes Maß finden, das wirklich stärkt.
